Imperialismus

"Das Christentum ist beneidenswert, es hat seine große entscheidende Aufgabe noch vor sich." Dies erklärte 1912 ein alter buddhistischer Theologe auf einem chinesischen Küstendampfer dem jungen Kolonialoffizier Friedrich Reck-Maleczewen.
In seiner Dachauer Todeszelle ergänzte Reck diese Worte später: "Ja, das Christentum hat seine große entscheidende Aufgabe noch vor sich. Nur wird es, inmitten des heute herrschenden Satanismus, der zweiten Katakomben und der zweiten brennenden Nero-Fackel bedürfen, um dem Geist zum zweiten Male zu seinem Siege zu verhelfen."
Doch es waren nicht die alten Blockwarte und auch nicht die jungen Nazi-Zicken, die den streitbaren Ostpreußen dem Henkersbeil auslieferten. Sein eigener Verleger hatte ihn wegen Wehrkraft- zersetzender Äußerungen angezeigt, um Honorarkosten bei der Herausgabe seines neuen Buchs zu sparen.


Arions Zauber

Die Eiszeitleute begaben sich auf die Suche nach dem Wesen der Dinge und fanden - sich: sie bevölkerten die Welt mit Geistern und lernten Weisen, dieselben zu beeinflussen. So war, was den Menschen im strengen Sinn zum Menschen machte, eine falsche Annahme. Erst jetzt, die Natur als ein Geisterreich durchblickt, kam man ernstlich in ihr zurecht und voran. Man baute Städte, erhöhte die Häuptlinge zu Königen und die Geister zu Göttern. Man errichtete ein Großreich mit einem Großkönig und schuf, nach dessen Abbild Gott.
Auf die Art gelangte man zu der Vorstellung eines Urgrundes sämtlicher Erscheinungen, einer Gesamtursache. Die Zauberei auf der Stufe der Religion ist das früheste Wagnis eines übers Ersichtliche hinaus vollständigen und durchaus ordentliehen Seinsentwurfs.
Das große Denken über die Welt war nicht anders als in Form einer
frommen Abbildung in die Welt zu holen. Ein phantastisches, aber vollständiges Weltbild war nun verfügbar. Thomas von Aquin formulierte es aus, das Hegelsche System verweltlichte es, Marx und Engels reformierten es. Im Kern blieb es die alte Geisterlehre.
Der Seelenzustand, worin der Zauberer mit seinen Mitgeistern verkehrt, ist der der Entrückung. Die Seele muß aus ihm heraus. Zu dem Behuf wird sie erst durch eintönigste Wiederholung gewisser Förmliclikeiten von Inhalten entleert und vom Körper gelockert, dann springt sie in den Geisterton ab. Beides übrigens geschieht keineswegs mit großer Sorgfalt oder starker innerer Beteiligung, sondern vielmehr mit jener, die Künstler und anderen Gottesleugner so empörenden, geschäftsmäßigen Vertraulichkeit, in der man sonst mit Wesen umgeht, die es tatsächlich gibt.
Die Poesie trennt sich von der Magie in dem Augenblick, wo man an den Wert der Zaubergebärden nicht mehr so sehr fest glaubt und hierdurch in die Freiheit verbracht ist, Schönheiten an ihnen wahrzunehmen. Die Eintönigkeit als schön begriffen, entstand der epische Text, das Stammeln als schön begriffen, der lyrische. Das verzückte Geheul des Kultgesanges, ausgemessen und am Schreibtisch kunstvoll nachgeahmt, ergab die Form des Dithyrambos.
Ausgangs des siebten Jahrhunderts arbeitete am Hof des Periander zu Korinth ein Sänger namens Arion. Ihm rühmt man nach, er habe als erster die Bauart des Dithyrambos für götterlose Stoffe benutzt, war der Begründer der weltlichen Chorlyrik. Das Chorlied des Arion steht auf der ursprünglichsten Stufe der berufsmäßigen Poesie, auf welcher man im alten hohen Ton, aber von neuen vernünftigen Sachen redet. Es weitet die Inbegriffnahme der Welt entscheidend aus. ...
aus Peter Hacks Arion (ndl 2/1979)
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